Arbeitsrecht: Außerordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen (BAG zu § 626 I, II BGB)

BAG, Urteil vom 23.01.2014 - 2 AZR 582/13

Eine Arbeitsunfähigkeit kann ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 I BGB auch dann sein, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Häufige Kurzerkrankungen können die Annahme eines Dauertatbestandes rechtfertigen, der die Frist des § 626 II BGB ständig neu in Gang setzt.

Die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist war Gegenstand des Verfahrens.
Die Klägerin ist seit 1981 bei der Beklagten beschäftigt und wegen tariflicher Alterssicherung ordentlich unkündbar. Als Hilfsgärtnerin ist sie bei einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 2.075 EUR an vier Tagen pro Woche beschäftigt. Seit 2000 war die Klägerin wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig.
Die Beklagte beantragte beim Personalrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist, welcher dieser verweigerte. Die Einigungsstelle hat diese Zustimmung schließlich ersetzt. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sozialer Auslauffrist. Der dagegen erhobenen Klage haben ArbG und LAG stattgegeben. Die Revision der Beklagten war erfolglos.

Allerdings hat die Beklagte nach Auffassung des BAG die Ausschlussfrist des § 626 II BGB gewahrt. Auch häufige Kurzerkrankungen können einen Dauertatbestand darstellen, wenn die Fehlzeiten nicht auf ein und dasselbe Grundleiden zurückzuführen seien.
Ob im Streitfall eine berechtigte negative Prognose noch bis zwei Wochen vor Zugang der Kündigung vorgelegen habe, konnte aber dahingestellt bleiben, weil es jedenfalls an einem wichtigen Grund für die Kündigung gemäß § 626 I BGB fehlte.
Bei einer außerordentlichen Kündigung ist der für eine ordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen entwickelte Prüfungsmaßstab strenger, und zwar auf allen drei Stufen:

1. negative Gesundheitsprognose
2. Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
3. Interessenabwägung

Es bedarf mithin eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung für die Kündigung. Ein solches ist gegeben, wenn zu erwarten stehe, dass der Arbeitgeber bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – ggfs. über Jahre hinweg – erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen hätte. In dem als Grundlage für eine Prognose geeigneten Zeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung waren die Ausfallzeiten im konkreten Fall aber deutlich zurückgegangen. Selbst wenn künftig höhere Fehlzeiten einträten, wäre das Arbeitsverhältnis nicht „sinnlos“, weil auch dann die Klägerin hier noch zu fast zwei Dritteln ihrer Jahresarbeitszeit arbeitsfähig wäre. Dass die möglichen Ausfallzeiten zu Vertretungsbedarf und ggf. zu Verzögerungen im Betriebsablauf führten, ist nach Auffassung des BAG nicht außergewöhnlich.

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 I ist – wie im Fall einer lang andauernden Erkrankung – nicht die Erkrankung als solche, sondern die negative Gesundheitsprognose und eine daraus resultierende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Selbst wenn ein Arbeitnehmer in einem Zeitraum von zwei Jahren zu einem Drittel seiner Arbeitszeit arbeitsunfähig gewesen ist, reicht dies nicht zur Überwindung der ersten Stufe (negative Prognose) aus.
Die Hürde für Arbeitgeber, eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen auszusprechen ist daher außerordentlich hoch und sollte vom Arbeitnehmer nicht ohne Überprüfung vor dem Arbeitsgericht hingenommen werden. Die Chance, dass dabei die Entscheidung zu seinen Gunsten ausfällt, ist jedenfalls sehr hoch.
(zu: BAG, Urteil vom 23.01.2014 - 2 AZR 582/13)



Eingestellt am 15.09.2014 von S. Bastek
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